EuGH hebt Nachweispflicht auf
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) spricht Käufer:innen von Fahrzeugen mit eingebauten Thermofenster in einem neuen Urteil einen vereinfachten Anspruch auf Schadensersatz zu. Im Klartext bedeutet das: Ist es aufgrund von Fahrlässigkeit zu Abgasmanipulationen gekommen, sind Autobauer zu Schadensersatz gegenüber ihren Kundinnen und Kunden verpflichtet. Vorsatz muss nicht länger nachgewiesen werden.
Wenngleich das Urteil geprellte Fahrzeug-Halter:innen klar auf der Siegerseite positioniert – die Zeit, Klage einzureichen, ist noch nicht gekommen. Wir erläutern Ihnen auch, warum.
Verfahren gegen Mercedes Stein des Anstoßes
Ein Verfahren gegen den Stuttgarter Autobauer Mercedes-Benz brachte den Stein ins Rollen: Das Landgericht (LG) Ravensburg hatte darüber zu entscheiden, ob Mercedes aufgrund des Einbaus eines Thermofensters zu Schadensersatz verpflichtet ist.
Hinweis: Thermofenster
Thermofenster regulieren die Abgasreinigung in Fahrzeugen bei bestimmten Außentemperaturen. Die Autobauer beriefen sich bei der Verwendung bislang auf eine Motorschutzfunktion. Während der EuGH diese Argumentation bereits in einem Urteil vom Tisch gefegt hat, steht ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) noch aus.
Außerstande, ein Urteil zu fällen, holten sich die Ravensburger Richter:innen den EuGH ins Boot. Das oberste europäische Gericht sollte klären, ob sich Mercedes mit der Verwendung des Thermofensters haftbar gemacht hat. Dementsprechend folgte eine Einschätzung des Generalanwalts Athanasios Rantos.
In seinen Schlussanträgen (Az. C-100/21) stellt Rantos unmissverständlich klar: Bereits ein fahrlässiger Verstoß gegen die Verordnung Nr. 715/2007 (Verordnung über Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich Emissionen) genügt, um Schadensersatz gegen die Hersteller zu begründen. Der Nachweis einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung ist seiner Auffassung nach nicht länger erforderlich. Dem schloss sich nun der EuGH in seinem Urteil an.
EuGH-Urteil mischt gesamte Automobilbranche auf
Wenngleich im ursprünglichen Verfahren Mercedes im Mittelpunkt stand: Das EuGH-Urteil mischt die gesamte Automobilbranche auf. Immerhin verbauen auch andere Hersteller Thermofenster in ihren Fahrzeugen. Neben den Branchenriesen wie VW, Mercedes, Fiat, Audi und Co. auch diejenigen, die bislang eher unter dem Radar liefen: BMW, Peugeot und Renault, um Beispiele zu nennen.
Dabei ruhten sich die Fahrzeugbauer alle auf der Ausflucht aus, dass Thermofenster dem Motorschutz dienten. Die Toleranz des BGH gegenüber dieser Auffassung hat das begünstigt.
Auswirkungen des EuGH-Urteils auf deutsche Rechtsprechung
Aktuell geht der BGH davon aus, dass allein die Verwendung eines Thermofensters nicht ausreicht, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Noch! Denn auch wenn sich die Richter:innen am 8. Mai zu keiner endgültigen Entscheidung durchringen konnten – die soll nun am 26. Juni fallen – ließen sie zumindest Tendenzen erkennen. Und die kommen verbraucherfreundlich daher.
So scheint der BGH geneigt, geschädigten Verbraucher:innen einen „Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz“ in Aussicht stellen zu wollen. Ein Unwort, hinter dem sich nicht weniger verbirgt, als ein Minderwertausgleich, auch kleiner Schadensersatz genannt.
Hinweis: Kleiner Schadensersatz
Der kleine Schadensersatz kann als Ausgleichszahlung verstanden werden. Es gilt, damit die Differenz zwischen dem Wert des mangelhaften und den eines einwandfreien Fahrzeugs auszugleichen.
Was aber, wenn es schlussendlich doch noch zur Stilllegung von Fahrzeugen aufgrund des Abgasausstoßes kommen sollte? Jedenfalls wären betroffene Fahrzeughalter:innen dann mit einem Minderwertausgleich nicht ausreichend bedient. Aber vielleicht sind es ja auch gerade diese und andere offenen Fragen, die die BGH-Richter:innen dazu bewegen, sich mit einem endgültigen Urteil noch zurückzuhalten.
Für deutsche Verbraucher:innen gilt deshalb aus unserer Sicht weiterhin: Warten Sie mit rechtlichen Schritten gegen Ihren Autobauer noch ab. Je nach Entscheidung werden gezielte Strategien für ein Vorgehen festgelegt – das Risiko, vor Gericht zu scheitern, wird somit minimiert.
Auswirkungen auf Mercedes-Rechtsprechung im Abgasskandal
Dass das Urteil aber direkten Einfluss auf die Rechtsprechung des LG Ravensburg hinsichtlich des konkreten Verfahrens um Mercedes-Benz nehmen wird, scheint indes unstrittig. Immerhin waren es die Ravensburger Richter:innen, die den EuGH um eine höchstrichterliche Entscheidung gebeten haben.
Die Erfolgsaussichten für Mercedes-Halter:innen, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, steigen damit enorm. Der Stuttgarter Autobauer rühmte sich lange selbst mit hohen Erfolgsquoten vor Gericht. Eigenen Angaben zufolge blieben 95 % aller Klagen gegen Mercedes-Benz erfolglos. Ob nach dem BGH-Urteil daran festgehalten werden kann? Mindestens fraglich!
BGH-Urteil – eine Einschätzung
Die bisherige Auffassung des BGH ist durch das EuGH-Urteil nicht länger haltbar – die deutschen Richter:innen stehen unter Zugzwang. Das machen auch die Tendenzen deutlich, die sie haben durchblicken lassen. Ob aber eine eindeutige Entscheidung fällt, darf weiterhin bezweifelt werden. Wir erwarten vielmehr, dass der BGH die Sache zur weiteren Aufklärung an die jeweiligen Oberlandesgerichte zurückweist und sich daraus schließlich unterschiedliche Rechtsprechungen ergeben.
Bleibt Fahrzeug-Halter:innen jetzt nur abwarten?
Auch wenn wir Ihnen dazu raten, noch keine rechtlichen Schritte einzuleiten – eine Einschätzung über Ihre Möglichkeiten sollten Sie dennoch in Anspruch nehmen. Unsere Anwältinnen und Anwälte nehmen sich dem gerne an. Zudem prüfen wir, ob Ihr Fahrzeug betroffen ist.
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