Lange Zeit kassierten Anleger*innen des mittlerweile insolventen Finanzdienstleisters Wirecard vor dem Landgericht München (LG) eine Abfuhr nach der anderen. Das könnte sich jetzt ändern: Das Oberlandesgericht München (OLG) hat die bisherige Klageabweisungspraxis seiner Vorinstanz in einem Hinweisbeschluss scharf kritisiert.
OLG äußert sich zu Klageabweisungen
Bisher sah es so aus, als ob die Rechtsprechung wenig Mitleid mit den Anleger*innen von Wirecard hatte. Erst bestritt das zuständige LG München monatelang seine Zuständigkeit. Dann wies es eine Schadensersatzklage nach der anderen ab. Man könne die Wirtschaftsprüfer*innen von Ernst & Young (EY), die anstelle des insolventen Aschheimer Unternehmens zahlen sollten, schlicht nicht zur Verantwortung ziehen, so das LG.
Das Blatt könnte sich jetzt aber zugunsten der Verbraucher*innen wenden. Denn erstmals hat sich das Oberlandesgericht München als nächsthöhere Instanz in einem Hinweisbeschluss mit dem Fall beschäftigt. Obwohl das OLG hier keine rechtskräftigen Feststellungen trifft, lässt der Hinweisbeschluss Rückschlüsse darauf zu, wie es in Zukunft vor Gericht mit Wirecard und EY weitergehen könnte.
Hinweis: Was ist ein Hinweisbeschluss?
Zivilgerichte haben nach §139 der Zivilprozessordnung eine sogenannte Hinweispflicht gegenüber den Parteien. Sie sind demnach verpflichtet, Kläger*innen und Beklagte über wesentliche Punkte des Verfahrens, die nicht oder unvollständig von beiden Seiten vorgebracht worden, aufzuklären. Das ganze geschieht manchmal schriftlich im Rahmen eines Hinweisbeschlusses.
Prüfung des LG zu oberflächlich
Insbesondere das LG kommt in dem Beschluss alles andere als gut weg. Es habe sich nicht umfassend genug mit dem Fall beschäftigt und Klagen zu schnell verworfen, so die OLG-Richter*innen. Beispielsweise hätte das Landgericht Sachverständigengutachten einholen müssen, da es den Richter*innen an der erforderlichen Sachkompetenz fehle, um die Vorwürfe gegen EY zu beurteilen.
Zudem habe das erstinstanzliche Gericht den Abschlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses einfach ignoriert und Kläger*innen damit unfair benachteiligt. Eine Beweisaufnahme sei trotz des komplexen Sachverhaltes nicht vorgenommen worden, rügte das OLG weiter.
Zu guter letzt bemängelte das Oberlandesgericht auch die Rechtsauffassung des LG, dass EYs Fehlverhalten (falls es denn festgestellt wird) nicht ursächlich für den Verlust der Anleger*innen sei. Tatsächlich hätte Wirecard “nach allgemeiner Lebenserfahrung” bei fehlenden oder wahrheitsgemäßen Testaten durch EY den Insolvenzantrag viel früher gestellt. Folglich hätten Anleger*innen dann auch kein Geld mehr in das Unternehmen investiert.
Entscheidung wohl erst 2022
Und wie geht es nach diesem Hinweisbeschluss des OLG jetzt weiter? Zunächst einmal haben EY und die Kläger, an die der Beschluss gerichtet ist, Zeit bis Ende Februar Stellung zu nehmen. Am 31. März 2022 soll dann vor dem OLG München der Verhandlungstermin stattfinden, in dem es ans Eingemachte geht. EY zeigte sich bisher unbeeindruckt. Auf Anleger*innen dürfte damit ein harter Prozess zukommen. Aber immerhin: Es geht vorwärts.