Sechs Wochen. So lange hatten die Jobcenter hierzulande Zeit, sich auf das Bürgergeld vorzubereiten. Sechs Wochen – für die größte Sozialstaatsreform seit 18 Jahren, eines der wichtigsten Vorhaben der Ampel-Koalition. Doch während diese auch bald drei Wochen nach der erstmaligen Auszahlung der um knapp zwölf Prozent erhöhten Regelsätze eine konsolidierte Fassung der Reform schuldig bleibt, stehen die bundesweit 406 Jobcenter nun in der Verantwortung, eine schnelle Umsetzung zu gewährleisten. Und so möchte man dieser Tage einmal mehr Mäuschen in den Jobcentern spielen, die – etwa im Land Bremen – aktuell auch samstags im Dienst sind, um die Rückstände aufzuarbeiten. Im Stadtstaat sei man aber gut vorbereitet, auch wenn es intern vielleicht auch mal rumpeln werde, wie Thorsten Spinn, Geschäftsführer des Jobcenters Bremen, im Rahmen des Jahrespressegesprächs zugab.
Doch rumpelt es in den Jobcentern nicht bereits seit jeher angesichts von chronischer Überlastung, massiver Überforderung und mutmaßlich geschönter Statistiken? Allein der Wegfall des Vermittlungsvorrangs dürfte den Druck auf die Mitarbeiter:innen nochmals erhöhen, setzt er doch eine intensivere Beratung der Leistungsbeziehenden voraus, die Verschiebung hin zum Fördern statt Fordern. Hinzu kommt die rechtliche wie praktische Schulung der Jobcenter-Angestellten, der zu erwartende Anstieg der Bürgergeld-Anträge aufgrund der Zunahme an Anspruchsberechtigten, Mehraufwände durch den Ablauf des pandemie-bedingten Sanktionsmoratoriums und nicht zuletzt das sozialpolitische Pulverfass der KdU (Kosten der Unterkunft). All das dürfte die Jobcenter – völlig zu Recht – an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus bringen. Vor einem Kollaps in den Einrichtungen warnte das Bundesnetzwerk Jobcenter in einem offenen Brief bereits Anfang Dezember vergangenen Jahres.
Es verwundert nicht, wenn bei diesen Aussichten Revoluzzer-Ambitionen und intrinsische Motivation bei den Jobcenter-Mitarbeiter:innen auf der Strecke bleiben, auch wenn die beschlossenen Maßnahmen durchaus in ihrem Sinne und zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung sind. Dem mangels Vertrauen ohnehin angespannten Verhältnis zwischen Leistungsbeziehenden und Arbeitsvermittlung sowie Leistungsabteilung dürfte die Hauruck-Reform jedenfalls eher schaden statt nützen, deutlich mehr fehlerhafte Bescheide in den kommenden Monaten und ein Anstieg des allgemeinen Frustrationslevels die Folge sein. Leistungsbeziehende wiederum müssen sich auf lange Wartezeiten ihrer Bescheide einstellen – ein schlichtweg haltloser Zustand für all jene, die in ihrer finanziellen Notlage auf Grundsicherung angewiesen sind.
Und so muss man sich die Frage stellen, ob eine kurzfristige, realistische Anhebung der Regelsätze unter Berücksichtigung von Energiekrise und Inflation per Beschluss nicht der gangbarere Weg gewesen wäre. Nicht nur, um mittelfristig zusätzliches Personal in den Jobcentern einzustellen, Unsicherheiten zu überwinden und einen verwaltungsrechtlichen Rahmen zur Umsetzung der Bürgergeld-Reform zu schaffen – sondern um dem längst überfälligen Paradigmenwechsel und der so dringend notwendigen Entstigmatisierung der Leistungsbeziehenden höchstmöglichen Stellenwert einzuräumen.
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