Das Thermofenster

Das Thermofenster stellt eine Abschalteinrichtung dar, die von einer Vielzahl an Herstellern in Diesel-Fahrzeugen verwendet wird. Bei einer Abschalteinrichtung handelt es sich um ein System, mit dem sich Geräte, Anlagen oder Anlagenteile ferngesteuert oder aber automatisiert abschalten lassen.

Wie funktioniert das Thermofenster?

Das Thermofenster stellt eine im Auto verbaute Technik dar, mit der sich durch die Außentemperatur die Abgasreinigung beeinflussen lässt. Bei bestimmten Diesel-Fahrzeugen ist zum Beispiel technisch festgelegt, dass die Abgasreinigung nur bei Temperaturen zwischen 20 und 30 Grad Celsius ohne Einschränkungen arbeitet. Liegt die Temperatur außerhalb dieses festgelegten Fensters, wird die Abgasreinigung ganz oder teilweise abgeschaltet.

Nur bei einer Abgasreinigung ohne Einschränkungen werden die Abgase nach der ersten Verbrennung zurück in den Motor geführt und erneut verbrannt. Durch diese weitere Verbrennung reduziert sich die  Menge der umwelt- und gesundheitsschädlichen Emissionen. Ferner können durch eine uneingeschränkte Abgasreinigung auch nur die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxide eingehalten werden.

Warum ist die Verwendung von Thermofenstern problematisch?

Der Grund, warum die Benutzung von Thermofenstern ein Problem darstellt, ist, dass beispielsweise in Deutschland die Durchschnittstemperatur lediglich an drei Monaten im Jahr über 15 Grad Celsius liegt. Somit können Diesel-Fahrzeuge, die ein Thermofenster verbaut haben, lediglich innerhalb dieser drei Monate die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxide einhalten.

Hinweis: In einigen Ländern findet gar keine Abgasreinigung statt
In nördlich gelegenen europäischen Ländern übersteigt die Temperatur nie diesen Grenzwert, weshalb eine Abgasreinigung dort erst gar nicht stattfindet.

Warum wurde eine Temperaturspanne von 20 bis 30 Grad Celsius gewählt?

Wenn die Temperaturspanne für die Thermofenster in einigen europäischen Ländern kaum bis gar nicht erreicht werden kann, warum wurde diese dann gewählt? Diese Temperaturen herrschen in der Regel auf den Abgas-Prüfständen. In der Testsituation, in der es um die Zulassung des Fahrzeuges für den Straßenverkehr geht, erfüllten die Fahrzeuge daher die Vorgaben im Hinblick auf die Schadstoffwerte. Außerhalb des Prüfstandes können diese Fahrzeuge die Schadstoffgrenzwerte jedoch nicht mehr einhalten.

Welche Hersteller haben Thermofenster genutzt?

Zahlreiche bzw. alle bekannten Autohersteller verwenden Thermofenster. Im Folgenden ein paar Beispiele:

  • Volkswagen: Volkswagen musste aufgrund des Abgasskandals bei Millionen von Fahrzeugen ein Software-Update aufspielen. In diesem Zusammenhang entfernte Volkswagen zwar die zuvor verwendete unzulässige Abschalteinrichtung, spielte dafür aber ein Update auf, welches u.a. ein Thermofenster enthielt. Sowohl der Motor des Typs EA189 als auch der Motor EA288 haben ein sog. Thermofenster installiert.
  • Mercedes: Auch Mercedes verwendet für seine Diesel-Fahrzeuge Thermofenster. Allerdings beginnt das Thermofenster bei Mercedes bereits bei 7 Grad Celsius, was bedeutet, dass insbesondere bei niedrigen Temperaturen die Abgasreinigung nur teilweise bis gar nicht funktioniert. Dieses 7 Grad Celsius Fenster gilt jedoch nur bei neueren Diesel-Modellen, die AdBlue nutzen. Bei älteren Motoren wird die Abgasrückführung verwendet, das Thermofenster beginnt hier bei 10 Grad Celsius. Alle Euro 5 und 6 Diesel-Motoren verwenden das Thermofenster.
  • Opel: Auch der Autohersteller Opel verwendet für seine Diesel-Fahrzeuge Thermofenster. Verwendet wurde das Thermofenster bei den Modellen Cascada, Insignia und dem Zafira. Bei den Fahrzeugen von Opel wurde die Abgasreinigung bereits bei 17 Grad Celsius gedrosselt.
  • BMW: Auch BMW verwendet Thermofenster. Dieses Fenster spielte auch im ersten Abgasskandal eine Rolle. Das Landgericht Düsseldorf hatte BMW zu einer Schadensersatzzahlung wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verurteilt. Bei dieser unzulässigen Abschalteinrichtung handelte es sich um das Thermofenster. Die Abgasreinigung bei Fahrzeugen von BMW sollte nur in einem Bereich zwischen 17 und 33 Grad Celsius einwandfrei funktionieren.

Hier finden Sie eine Übersicht aller betroffenen Modelle im Dieselskandal

Die Rolle der Thermofenster im Abgasskandal

Ende April 2020 wurde durch die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) der Schlussantrag zu einem Dieselskandal-Verfahren veröffentlicht. In diesem Schlussantrag stufte sie sämtliche Fahrzeugfunktionen als illegale Abschalteinrichtung ein, wenn es durch diese im Realbetrieb zu einem höheren Abgasausstoß kommt als im Prüfstand. Dadurch zählen auch die Thermofenster zu den illegalen Abschalteinrichtungen.

Wenngleich es einige Zeit dauerte: Nun erkennt auch der Bundesgerichtshof (BGH) Thermofenster als illegal an. Das  geht aus einem Aktuellen Urteil vom 26. Juni 2023 hervor.

Was sagt die Autoindustrie zur Verwendung der Thermofenster?

Die Autohersteller begründeten die Verwendung der Thermofenster damit, um durch diese eine Versottung von Motor und Abgasreinigung vorzubeugen. Hierfür sei die Herunterregelung bei niedrigen Temperaturen unerlässlich. Die Autohersteller gaben dafür sogar ein Gutachten in Auftrag. Dort heißt es:

“Eine generelle temperaturabhängige Regelung der Emissionsminderungsstellgrößen, insbesondere eine Kühlwasser- oder außentemperaturabhängige Regelung des Abgasrückführventils, ist technisch notwendig, um nutzungs- und emissionsrelevante Schäden von Bauteilen mit Folgerisiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs abzuwenden. […] Eine Parametrierung der Abgasrückführrate ohne Berücksichtigung relevanter Prozesstemperaturen hätte insbesondere bei kalten Außentemperaturen oder reduzierter Kühlwassertemperatur zu einer noch intensiveren Belagsbildung und typischerweise sehr schnell und unvorhersehbar zu einer Bauteilfunktionseinschränkung bis hin zu einem plötzlichen Bauteilausfall, mit Folgerisiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs, geführt.”

Von diesem Gutachten ließ sich die EuGH-Generalanwaltschaft jedoch nicht beeindrucken. Nach Auffassung des EuGH sei eine Abschalteinrichtung nur dann zu rechtfertigen, wenn unmittelbare Beschädigungsrisiken, die die Zuverlässigkeit des Motors beeinträchtigen und eine konkrete Gefahr bei der Lenkung des Fahrzeuges darstellen, vorhanden sind.

Was sagt das Kraftfahrt-Bundesamt zu den Thermofenstern?

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat sich lange dagegen gewehrt, Thermofenster als illegal einzustufen. Das Amt sprach indes lange lediglich von „Konformitätsabweichungen”. Auch die eindeutige Rechtssprechung des EuGH konnte daran lange nichts ändern – bis Anfang 2023. In einem Schreiben an das Landgericht Berlin bezeichnete die Bundesbehörde da Thermofenster nun doch als unzulässige Abschalteinrichtung.

Wie entscheiden die Gerichte im Hinblick auf die Thermofenster?

Ob die Thermofenster am Ende illegal sind, entscheiden jedoch nicht die Autohersteller oder das Kraftfahrt-Bundesamt, sondern die Gerichte. Die bisherigen Entscheidungen der einzelnen Gerichte bestätigen den Schlussantrag der Generalanwältin des EuGHs. Die Gerichte stellten sich auf die Seite der Autokäufer und sprachen diesen Schadensersatz zu.

Folgende Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang relevant:

  • Urteil des Landgerichts Koblenz vom 10. Juli 2019, Az. 12 O 119/18: Das Landgericht Koblenz stufte die Thermofenster als Sachmangel im Sinne des § 434 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 BGB ein, da das Fahrzeug aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 EG-VO 715/2007 die Abgasrückführung bei einer bestimmten Außentemperatur reduziert. Das Fahrzeug weist somit nicht die Beschaffenheit auf, die man von anderen Fahrzeugen erwarten kann. Ferner sei eine solche Abschalteinrichtung wie das Thermofenster nicht notwendig, um den Motor vor Beschädigung zu schützen.
  • Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 12. Juni 2019, Az. 11 O 246/18: Auch das Landgericht Mönchengladbach stufte das Thermofenster als Mangel am Fahrzeug ein. Das Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Abschalteinrichtungen seien nur im Ausnahmefall zulässig, im vorliegenden Fall wurde die Abgasrückführung bereits bei 5 Grad Celsius runtergestuft, was für das Gericht keine Ausnahme mehr darstellt. Ferner sei eine Nacherfüllung nicht möglich gewesen, da dieser Mangel nur vom Hersteller Porsche selbst beseitigt werden könne. Der Kaufvertrag musste daher rückabgewickelt werden.
  • Urteil des Landgerichts Erfurt vom 3. Juli 2019, Az. 10 O 408/18: In diesem Urteil wurde VW dazu verurteilt, einen Audi A8 mit der Abgasnorm Euro 5 zurückzunehmen und den Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung zu erstatten. Zwar habe VW den Motor nicht entwickelt, dennoch sei VW als Konzernmutter als Herstellerin anzusehen.
  • Landgericht München – Urteil vom 31.03.2020 – 3 O 13321/19: In diesem Verfahren ging es um den VW T6 Bulli mit dem Motor EA288. Auch hier fuhr die Abgasreinigung bei einer Außentemperatur von über 5 Grad Celsius zurückgefahren. VW wurde daher wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Schadensersatz verurteilt.
  • Landgericht Heidelberg – Urteil vom 15.05.2020 – 4 O 199/19: Auch in diesem Verfahren ging es um einen Volkswagen, nämlich um den VW T5 mit dem Motor EA189. Dass das Thermofenster hier als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft wurde, verwundert nicht. Das Gericht sprach dem Kläger jedoch auch deliktische Zinsen zu, die die Nutzungsentschädigung, die er sich für die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen musste, wieder ausgeglichen haben. Somit hat der Kläger den vollständigen Kaufpreis erstattet bekommen.

Ihre rechtlichen Möglichkeiten

Am 26. Juni 2023 fällte der BGH ein entscheidendes Urteil im Abgasskandal: Bereits Fahrlässsigkeit aufseiten der Autobauer rechtfertigt Schadensersatzansprüche. Damit einher geht eine enorme Erleichterung für geprellte Diesel-Käuferinnen und -Käufer, eine Entschädigung zu erhalten. Denn: Nun müssen nicht länger die Geschädigten nachweisen, dass der jeweilige Hersteller mit dem Einbau eines Thermofensters vorsätzlich sittenwidrig  gehandelt hat. Einen ausführlichen Beitrag finden Sie in unserem New-Bereich: BGH im Abgasskandal: Bis zu 15 % Schadensersatz.

Zahlt Ihre Rechtsschutzversicherung die Kosten für ein Verfahren?

Wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, dann können entweder Sie selbst oder Ihr Rechtsanwalt eine Deckungsanfrage stellen. In der Regel wird eine Deckungszusage erteilt.

Hinweis: Ablehnung wegen Vorvertraglichkeit

Viele Rechtsschutzversicherung lehnen eine Zusage wegen Vorvertraglichkeit ab. Dies wäre der Fall, wenn der Abschluss des Kaufvertrages für das Fahrzeug vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages liegt.

Wie setzen Sie Ihre Ansprüche ohne Rechtsschutzversicherung durch?

Sollten Sie keine Rechtsschutzversicherung haben, dann müssen Sie die Kosten für Ihren Rechtsanwalt und die Gerichtskosten selbst tragen. Sollten Sie das Verfahren gewinnen, können diese Kosten der Gegenseite auferlegt werden.

Wir machen Ihre Ansprüche geltend

Unser Kanzlei-Team vertritt Sie im Abgasskandal und setzt Ihre Interessen gegenüber Autobauer und/oder Verkäufer durch.

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