22 Monate lang zeichneten Überwachungskameras in einem Stahlbetrieb nahe Dortmund so gut wie jeden Schritt eines Hallen-Mitarbeiters auf. Jetzt muss der inzwischen Ex-Arbeitgeber des Betroffenen wegen der Ausspähaktion 15.000 EUR Schmerzensgeld zahlen, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm. Der Fall zeigt, dass Beschäftigte eine Kameraüberwachung an ihrem Arbeitsplatz nicht einfach hinnehmen müssen.
Mitarbeiter fordert Schmerzensgeld nach Dauerüberwachung
Ob und mit welchen Mitteln Unternehmen ihre Mitarbeitenden überwachen dürfen, führt immer wieder zu rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Ein aktueller Fall des LAG Hamm zeigt jetzt, wie Vorgesetzte dieses äußerst sensible Thema nicht angehen sollten. Konkret ging es um einen Verfahrenstechnologen, der seinen ehemaligen Arbeitgeber wegen einer unzulässigen Dauerüberwachung im Betrieb auf Schmerzensgeld verklagt hatte.
Der Mann war fast zwei Jahre lang bei einem auf Stahlverarbeitung spezialisierten Unternehmen beschäftigt. Während dieser Zeit filmten insgesamt 34 Kameras die gesamte Produktionshalle inklusive dem Arbeitsplatz des Klägers durchgehend. Pausen, Toilettengänge oder Abstecher in die Büroräume der Firma waren für den Arbeitgeber des Mannes jederzeit live einsehbar und blieben für 48 Stunden gespeichert.
Die dauerhafte Beschattung führte zu immer größeren Spannungen zwischen den Parteien, die schließlich in einer einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses endeten. Übrig blieb nur die Frage, ob der Betroffene aufgrund der intensiven Kameraüberwachung an seinem Arbeitsplatz auch Anspruch auf eine Entschädigung hat. Das musste das LAG nun beantworten.
Hinweis: Unterlassungsanspruch bei Überwachung im Betrieb ebenfalls möglich
Ursprünglich war neben der Schmerzensgeldforderung auch ein Unterlassungsanspruch Teil der Klage. Das LAG sah für letzteren aber keine Verwendung mehr, da der Kläger das Unternehmen zwischenzeitlich verlassen hatte. Hätte das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Entscheidung allerdings noch bestanden, dann hätte das Gericht auch geprüft, ob die Überwachung ganz eingestellt werden müsste.
Arbeitgeber versucht Kameraüberwachung am Arbeitsplatz zu rechtfertigen
Vor Gericht führte der Ex-Arbeitgeber des Klägers an, dass das durchgängige Ausspähen der Werkhalle aus zwei Gründen notwendig sei:
- Die Kameras sollten Diebstahl und Vandalismus verhindern, indem sie potenzielle Täter abschrecken.
- Das Filmmaterial diene bei Arbeitsunfällen oder Problemen im Betriebsablauf als wichtiger Anhaltspunkt für die Fehleranalyse.
Unabhängig davon habe der Arbeitsvertrag des Verfahrenstechnologen eine Klausel über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten enthalten. Mit der Unterzeichnung habe er in eben diese eingewilligt, so die Beklagtenseite.
Kameraüberwachung am Arbeitsplatz war unzulässig
Die Einwände des ehemaligen Arbeitgebers überzeugten das LAG nicht. Durch die unverhältnismäßig intensive Kameraüberwachung am Arbeitsplatz habe das Unternehmen die Persönlichkeitsrechte des Klägers erheblich verletzt, stellten die Hammer Richter stattdessen fest.
Zwar sei nicht jeder Eingriff in das Recht am eigenen Bild gleich auch eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Denkbare Ausnahmen nach:
- § 26 Bundesdatenschutzgesetz (Diebstahlverdacht),
- Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a Datenschutzgrundverordnung (Einwilligung) und
- Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f Datenschutzgrundverordnung (sonstiges berechtigtes Interesse des Arbeitgebers)
kämen im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht. So fehle es allein deshalb schon an einer rechtlich wirksamen Einwilligung, weil sie lediglich über eine Klausel im Arbeitsvertrag eingeholt wurde. Um aber wirklich allen gesetzlichen Anforderungen zu genügen, müsse die Zustimmung zu Überwachungsmaßnahmen gesondert erfolgen.
Zudem konnte der Arbeitgeber vor Gericht kein berechtigtes Interesse vortragen, das groß genug wäre, um einen so drastischen Eingriff in die Privatsphäre der Mitarbeitenden zu rechtfertigen: Konkrete Anhaltspunkte für einen Dieb im Betrieb habe es nicht gegeben. Ebenso wenig konnte der Beklagte darlegen, welche Art von Arbeitsunfall durch den Einsatz der Kameras verhindert werden solle. Alles in allem sah das LAG keine tragfähige Begründung für die Überwachung.
15.000 EUR Schmerzensgeld für Dauerüberwachung
Die durchaus ungewöhnlich hohe Entschädigung erklärten die Richter mit der ebenfalls ungewöhnlich hohen Belastung, der der ehemalige Beschäftigte während seiner Zeit im Betrieb ausgesetzt gewesen sei: 22 Monate lang stand der Mann unter dauerhaftem Stress und Anpassungsdruck, weil die Kameras ihn unentwegt durch seinen Arbeitsalltag begleiteten und jede seiner Handlungen aufzeichneten.
Erschwerend komme hinzu, dass der Ex-Arbeitgeber des Klägers die Überwachung auch nach einer schriftlichen Beschwerde des Verfahrenstechnologen einfach fortgesetzt hat, ohne sie auf ihre Rechtmäßigkeit oder Angemessenheit prüfen zu lassen. Basierend auf der bisherigen Rechtsprechung anderer Landesarbeitsgerichte in ähnlich gelagerten Fällen und dem eklatanten Fehlverhalten des Beklagten hielten die Hammer Richter ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 EUR für angemessen.
Die Botschaft, die das LAG Hamm mit diesem Urteil an Betroffene von unrechtmäßiger Kameraüberwachung am Arbeitsplatz sendet, ist klar: Das Beobachten der eigenen Arbeitnehmer folgt klaren Regeln, an die sich Vorgesetzte zu halten haben. Tun sie das nicht, haben Sie immer die Möglichkeit, zu klagen.
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