Das Bürgergeld soll Hartz IV ablösen. Doch welche Verbesserungen sieht der Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vor? Und hat das Bürgergeld tatsächlich das Potenzial, Hartz IV zu überwinden?
Aus- und Weiterbildung im Fokus
Mit dem Vermittlungsvorrang würde ein ganz wesentlicher Punkt der Agenda 2010 entfallen. Dieser soll die bisherige Pflicht, im Zweifel jeden noch so unterbezahlten Job anzunehmen, ersetzen. Stattdessen wolle man die Aus- und Weiterbildung in den Fokus rücken, um Leistungsbeziehende dazu zu befähigen, sich langfristig selbst zu versorgen – und zwar bestenfalls in einem Job, der den eigenen Fähigkeiten entspricht. „Aktuell geht es darum, Leistungsbeziehende schnellstmöglich raus aus der Statistik zu bekommen. Stattdessen persönliche Neigungen und individuelle Lebensumstände bei der Auswahl der Tätigkeit zu berücksichtigen, ist hier definitiv der nachhaltigere Ansatz”, so Paul zu Jeddeloh, Leiter der Abteilung Sozialrecht bei rightmart. Besteht also Hoffnung, dass Arbeitsuchende künftig weitaus seltener zu fragwürdigen Maßnahmen wie Lama-Spaziergängen, Murmelbahn-Bau oder Zen-Garten-Pflege genötigt werden, um weiter ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können?
Auch setzt der Referentenentwurf auf positive Verstärkung statt Sanktionierung. Geplant ist beispielsweise ein Bürgergeldbonus in Höhe von monatlich 75 EUR für die Teilnahme an vereinbarten Maßnahmen, die innerhalb der Vertrauenszeit beginnen. Und apropos Vertrauenszeit: Diese gilt in den ersten sechs Monaten nach Abschluss des Kooperationsplans. Leistungskürzungen aufgrund von Verstößen – etwa der Ablehnung eines Vermittlungsvorschlags – entfallen in dieser Zeit, dürfen aber nach wie vor bei wiederholten Meldeversäumnissen oder nicht wahrgenommenen Terminen verhängt werden.
Eigentum und Vermögen werden geschont
Erleichterungen erwarten vor allem erstmalig Leistungsbeziehende: Für sie würde statt der bisherigen sechs Monate eine Schonzeit von zwei Jahren gelten, in der die Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe übernommen werden – unabhängig von Wohnungsgröße oder Miethöhe. „Das würde eine ungemeine Entlastung für jene bedeuten, die unerwartet in den Leistungsbezug rutschen, denn sie können sich zunächst einmal auf die Wiederaufnahme einer passenden Beschäftigung konzentrieren”, betont zu Jeddeloh.
Erst nach Ablauf der zwei Jahre würde die Angemessenheit der Wohnung überprüft werden – ein Vorgehen, das bis heute eine Vielzahl von Klagen vor den hiesigen Sozialgerichten zur Folge hatte. Die Angemessenheitsprüfung transparenter und im Allgemeinen gerechter zu gestalten, das hatte die Ampel im Koalitionsvertrag zugesagt. “Im Gesetzesentwurf zum Bürgergeld ist davon allerdings keine Rede mehr, was doch sehr enttäuscht”, so Rechtsanwalt zu Jeddeloh. Immerhin: Familien, die ein Eigenheim mit höchstens 140 qm bzw. eine Eigentumswohnung mit maximal 130 qm und bis zu vier Personen bewohnen, sollen auch nach den zwei Jahren von der Angemessenheitsprüfung ausgenommen sein.
Positiv auswirken würde sich die Einführung des Bürgergeldes auch auf die Vermögenswerte der Leistungsbeziehenden. Erst ab einer Höhe von 60.000 bzw. 30.000 EUR je weiterer im Haushalt lebender Person soll Vermögen angerechnet werden. Nach Ablauf der Karenzzeit soll das Schonvermögen schließlich auf 15.000 EUR pro Person in der Bedarfsgemeinschaft festgelegt werden. Neu wäre auch die Übertragbarkeit höherer Vermögensbeträge einzelner Personen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft. Bislang orientierte sich die Höhe des Schonvermögens am Lebensalter.
Wer ehrenamtlich tätig ist, soll künftig jährlich bis zu 3.000 EUR anrechnungsfrei aus dieser Tätigkeit hinzuverdienen dürfen. Weiter ist vorgesehen, dass Schüler:innen, Auszubildende und Studierende bis 25, die nebenbei arbeiten, einheitlich zur neuen, ab Oktober geltenden Minijob-Grenze bis zu 520 EUR monatlich einnehmen dürfen, ohne dass die Leistungen ihrer Eltern gekürzt werden.
Es braucht einen Kulturwandel in den Jobcentern
Wie sich das Bürgergeld auf die Praxis der Jobcenter auswirkt und ob es gelingt, in der Kürze der Zeit entsprechende Strukturen in den Einrichtungen zu schaffen, bleibt abzuwarten. Dass Jobcenter in Zukunft zu viel gezahlte Beiträge erst ab einer Bagatellgrenze von 50 EUR zurückfordern müssen, dürfte beispielsweise den Verwaltungsaufwand bei den Mitarbeitenden verringern. Ein Verzicht auf den Vermittlungsvorrang könnte das Konfliktpotenzial zwischen Vermittler:innen und den zu Vermittelnden außerdem deutlich verringern, sofern beide Parteien tatsächlich miteinander kooperieren, statt gegeneinander zu arbeiten und einander zu misstrauen. „Leistungsempfänger:innen stehen in den Jobcentern nach wie vor zu wenig im Mittelpunkt”, weiß zu Jeddeloh. „Hier braucht es vielerorts einen Kulturwandel.”
Dass das Bürgergeld wirklich wie angekündigt zum Jahresbeginn 2023 kommt, ist fraglich. Nicht nur möchte die Bundesagentur für Arbeit den Start verschieben, um eine reibungsarme Umstellung zu gewährleisten. Auch die Parteien sind sich längst nicht einig, was zentrale Punkte anbelangt: „Die Höhe des Regelsatzes beispielsweise soll erst ab Herbst überhaupt diskutiert werden. Ein Konsens erscheint aktuell schwierig, da die Parteien hinsichtlich ihrer Vorstellungen weit auseinander liegen”, gibt der Rechtsanwalt zu bedenken. „Wir erwarten keine substanzielle Erhöhung der Regelbedarfe und halten 40 bis 50 EUR für realistisch.” Leider berücksichtigt dieser Betrag weder die aktuellen Preissteigerungen im Zuge von Inflation und Energiekrise noch die Tatsache, dass die Beträge seit jeher zu knapp bemessen sind. Kurzum: Zur groß angepriesenen Reform taugt der Gesetzesentwurf nicht, doch ist er ein guter Anfang, um Hartz IV langfristig zu überwinden.
Pressemitteilung als pdf