Eine Angestellte wird von ihrem Chef sexuell belästigt. Als sie sich dagegen wehrt, wird der Mann ausfallend und kündigt seiner Mitarbeiterin. Nun bekommt er vom Landesarbeitsgericht (LAG) Köln die Quittung: Rund 70.000 Euro muss der Geschäftsführer an seine ehemalige Arbeitnehmerin wegen anzüglicher und beleidigender Kommentare zahlen. Mit der ungewöhnlich hohen Abfindungssumme setzt das LAG ein deutliches Zeichen.
Arbeitnehmerin will unzumutbares Arbeitsverhältnis auflösen lassen
Einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus 2025 zufolge hat jede:r fünfte Beschäftigte schon einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Betroffene fühlen sich häufig machtlos und fürchten sich vor den negativen Konsequenzen, wenn sie sich gegen die Grenzüberschreitungen zur Wehr setzen. Dass diese Angst durchaus begründet ist, zeigt ein aktueller Fall des LAG Köln, in dem eine Arbeitnehmerin um die Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses kämpfte.
Die Frau war seit 2019 bei einem Bonner Unternehmen angestellt. Lange Zeit verlief das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten relativ gut – bis zu einem Kundengespräch im Februar vergangenen Jahres. Per WhatsApp-Nachricht informierte der Geschäftsführer seine Mitarbeiterin über den Termin sowie die „speziellen Wünsche“, die die Kunden in Bezug auf die Kleiderwahl der Frau hatten: High Heels, kurzer Rock und nach Möglichkeit ein Oberteil, welches das Dekolleté der Klägerin offen legt.
Als die Frau ablehnte, lud ihr Chef sie direkt wieder aus dem Meeting aus. Kurze Zeit später folgten wüste Beschimpfungen und Beleidigungen. Nur wenige Tage darauf dann die Kehrtwende: Nachdem die Mitarbeiterin wieder ins Büro gekommen war, fand sie auf ihrem Schreibtisch einen Blumenstrauß samt Entschuldigungskarte, in der der Geschäftsführer sie auf einen gemeinsamen Besuch in der Therme einlud. Auch dieses Angebot schlug die Angestellte aus. Nur wenige Tage später erhielt sie ein Kündigungsschreiben. Vor Gericht versuchte die Frau jetzt:
- die Rechtswidrigkeit der Kündigung feststellen zu lassen und
- das Arbeitsverhältnis aufzulösen.
LAG bestätigt unzumutbares Arbeitsverhältnis
Die Kölner Richter:innen kamen dem Wunsch der Arbeitnehmerin nach und hoben die Kündigung sowie den Arbeitsvertrag zwischen den Parteien auf. Außerdem sprach das Gericht der Klägerin eine Abfindung von knapp 70.000 EUR zu.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung war § 9 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Die Vorschrift erlaubt es den Arbeitsgerichten, das betreffende Arbeitsverhältnis im Falle einer rechtswidrigen Kündigung gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Voraussetzung dafür ist, dass die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses dem oder der Arbeitnehmer:in nicht mehr zugemutet werden kann.
Angesichts der zahlreichen grenzüberschreitenden Nachrichten und dem machtmissbräuchlichem Verhalten des Arbeitgebers sah das LAG die Unzumutbarkeit im Fall der Klägerin als gegeben an. Nicht nur meinte der Geschäftsführer, sich das Recht herausnehmen zu dürfen, der Klägerin erst sexuell anzügliche Arbeitsanweisungen zu geben und sie dann zu beleidigen. Er habe auch die Zurückweisung privater Annäherungsversuche als Anlass genommen, eine Kündigung auszusprechen. Unter diesen Voraussetzungen sei eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen, so das Gericht.
Hinweis: AGG gewährt Betroffenen von sexueller Belästigung Rechte
Im Kontext von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sind auch die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) relevant. Das AGG gewährt Ihnen als betroffene Person drei wesentliche Rechte: das Recht auf Beschwerde, ein Leistungsverweigerungsrecht und Schadensersatz- sowie Entschädigungsansprüche.
Fehlverhalten des Arbeitgebers rechtfertigt hohe Abfindung
Das Urteil ist auch deshalb so interessant, weil die Richter:innen eine ungewöhnlich hohe Abfindung festgelegt haben. Üblicherweise beträgt die Abschlagszahlung ein halbes Monatsgehalt pro beschäftigtem Kalenderjahr. Im Fall der Frau waren es umgerechnet zwei.
Das Gericht begründete diese Entscheidung damit, dass der Abfindung insbesondere bei der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gleich mehrere Funktionen zukommen:
- Ausgleich für Schäden, die durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehen,
- Sanktionsfunktion, um zukünftiges Fehlverhalten des Arbeitgebers vorzubeugen und
- Genugtuungsfunktion.
Alle diese Merkmale finden auch Berücksichtigung bei der Berechnung der Abschlagshöhe. Ausgehend von der üblichen Abfindungshöhe von einem halben Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr hat das LAG wegen der offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung noch einmal 0,5 Bruttolöhne oben drauf gepackt. Die grobe Sozialwidrigkeit sowie die erhebliche Erniedrigung der Klägerin berechneten die Kölner Richter:innen ebenfalls mit jeweils einem halben Gehalt. Insgesamt waren also 2 volle Monatsgehälter für 4,4 Jahre fällig – umgerechnet 68.153,80 EUR.
Finanzielle Entschädigung für ein unzumutbares Arbeitsverhältnis wirksam
Mit seinem Urteil sendet das LAG eine klare Botschaft: Betroffene von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sind nicht schutzlos. Sowohl das AGG als auch das KSchG beinhalten eine Vielzahl an Rechten, die die Opfer einfordern können. Zudem sind Gerichte wie das LAG Köln gewillt, ihren rechtlichen Handlungsspielraum zu nutzen, um zumindest eine angemessene finanzielle Entschädigung für Sie rauszuholen.
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