Arbeitgeber verweigert feste Arbeitszeiten
Angestoßen wurde die Entscheidung von der Klage einer italienischen U-Bahn-Aufsicht: Die Frau bat ihren Arbeitgeber in der Vergangenheit mehrmals um feste Arbeitszeiten, damit sie sich nachmittags um ihren schwerbehinderten Sohn kümmern kann. Daraufhin gewährte der Verkehrsbetrieb der Mutter vorübergehend einen deutlich familienfreundlicheren Schichtplan, der jedoch die eigentliche Forderung nicht umsetzte.
Was folgte, war ein Rechtsstreit, der sich bis vor den italienischen Kassationsgerichtshof – dem höchsten Zivilgericht Italiens – zog. Bevor die Richter:innen in Rom aber endgültig über den Fall entscheiden konnten, musste erst der EuGH ran. Seine Aufgabe bestand darin, die europäischen Antidiskriminierungsregelungen auszulegen und zu überprüfen, ob die Rechtsauffassung des Kassationsgerichtshofs mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Achtung: Urteil auch für Deutschland relevant!
Obwohl sich der EuGH mit einem italienischen Fall befasst, sind die Erwägungen, die der Gerichtshof in seinem Urteil anstellt, auch für das deutsche Arbeitsrecht von entscheidender Bedeutung! Schließlich gilt das Europarecht innerhalb der gesamten Europäischen Union – einschließlich Deutschland.
EuGH: Mittelbare Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen Behinderung ist gegeben
Insgesamt musste das Luxemburger Gericht zwei entscheidende Rechtsfragen beantworten:
- Können sich nicht behinderte Eltern, die ihr behindertes Kind pflegen, ihrem Arbeitgeber gegenüber auf (europäische) Diskriminierungsschutzvorschriften berufen?
- Müssen Arbeitgeber Maßnahmen ergreifen, um den speziellen Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden mit behinderten Kindern Rechnung zu tragen?
Beide Fragen beantwortete der Gerichtshof mit einem „Ja“. Der Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen einer Behinderung mache nicht schon bei den behinderten Personen Halt. Er erstrecke sich auch auf pflegende Angehörige, um eine „Mitdiskriminierung“ zu vermeiden.
Ansonsten, so das Gericht, könne nicht mehr sichergestellt werden, dass Menschen und insbesondere Kinder mit Handicap die Unterstützung erhalten, die ihnen zusteht. Ein Arbeitsumfeld, das trotz vorhandener Möglichkeiten keine Rücksicht auf die Bedürfnisse von Eltern behinderter Kinder nimmt, erschwere beeinträchtigten Menschen die Eingliederung in und die Teilhabe an der Gesellschaft. Genau davor sollen die Antidiskriminierungsrichtlinien schützen.
Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen Behinderung muss zumutbar sein
Von diesem Grundsatz macht der EuGH jedoch eine Ausnahme: Unternehmen müssen nur solche Maßnahmen und Vorkehrungen zum Schutz behinderter Kinder treffen, die sie nicht unverhältnismäßig belasten. Wo genau die Grenze der Zumutbarkeit liegt, ließen die Luxemburger Richter:innen jedoch offen. Darüber haben die nationalen Gerichte zu entscheiden, nicht der EuGH.
Jetzt ist also wieder der Kassationsgerichtshof gefragt: Er muss abschließend klären, ob die dauerhafte Anpassung der Arbeitszeit im Fall der Klägerin verhältnismäßig gewesen wäre oder nicht.
Quelle: