Können Dieselkunden, in deren Fahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen wie das sogenannte Thermofenster verbaut sind, Schadensersatzansprüche geltend machen? Darüber hat am Montag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe geurteilt. Was Betroffene jetzt wissen müssen, um ihre Rechte durchzusetzen, weiß Thorsten Köhn, Fachanwalt für Verkehrsrecht in der Verbraucherrechtskanzlei rightmart, die bereits 15.000 Fälle im Dieselskandal geprüft hat.
Was hat der BGH entschieden?
Thorsten Köhn: Der BGH folgt in seiner Auffassung dem EuGH: Käufer:innen, die über ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung – etwa ein Thermofenster – verfügen, erleiden stets einen Schaden, weil aufgrund einer drohenden Betriebsbeschränkung oder Stilllegung die Verfügbarkeit des Fahrzeugs in Frage steht. Nach Argumentation des BGH hätten Käufer:innen in dem Wissen derartiger unzulässiger Abschalteinrichtungen gar nicht erst den vereinbarten Kaufpreis für das Fahrzeug bezahlt. Entsprechend sei betroffenen Käufer:innen ein sogenannter Differenzschaden, also ein mittlerer Schadensersatz, zu gewähren.
Wie hoch ist dieser Differenzschaden und wie errechnet er sich?
Thorsten Köhn: Der BGH hält eine Erstattung von mindestens 5 % und maximal 15 % des gezahlten Kaufpreises für angemessen. Welche Schadensersatzhöhe im Einzelfall angebracht ist, obliegt den Instanzgerichten. Die dortigen Richter:innen können eine Schätzung abgeben, ein Sachverständigen-Gutachten sei dafür nicht notwendig.
Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Könnte es Fälle geben, bei denen mehr als die maximalen 15 % Schadenersatz möglich sind?
Thorsten Köhn: Höhere Ansprüche sind nicht auszuschließen, sofern es gelingt, den Herstellern eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung nachzuweisen.
Wie weisen Dieselkunden nach, dass ihr Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt?
Thorsten Köhn: Die standardmäßige, flächendeckende Verwendung sogenannter Thermofenster ist in der Autoindustrie langjährig bekannt und vielfach durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) festgestellt bzw. durch Messungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) belegt worden. Auch die Hersteller bestreiten das nicht. Sie haben bislang lediglich argumentiert, diese Abschalteinrichtungen für legal gehalten zu haben. Entsprechend besteht hier gar keine Notwendigkeit eines Nachweises durch die Fahrzeughalter:innen.
Für wen lohnt es sich jetzt, vor Gericht zu ziehen?
Thorsten Köhn: Betroffen sein dürften alle Fahrzeuge mit Dieselmotoren, die zwischen 2008 und 2020 zugelassen wurden und der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 entsprechen.
Wer wird es vor Gericht schwer haben?
Thorsten Köhn: Für Vielfahrer:innen, die mehr als 300.000 Kilometer mit dem betroffenen Fahrzeug zurückgelegt haben, ist ein Vorgehen gegen den Hersteller höchstwahrscheinlich nicht rentabel. Der Hintergrund: Mit der maximalen Laufleistung haben sie bereits den vollen Wert aus dem Auto geschöpft – ein Umstand, der dem BGH zufolge nicht weiter bevorteilt werden dürfe.
Welche Fragen sind noch offen?
Thorsten Köhn: Offen ist, ob die deutschen Gerichte das Verhalten der Hersteller als fahrlässig ansehen. Der BGH hat einen Schadensersatz bei fahrlässigem Verhalten zwar bejaht, sich aber bislang nicht dazu geäußert, ob die Verwendung einer illegalen Abschalteinrichtung in jedem Fall als fahrlässig anzusehen ist – oder ein Hersteller seine Schuld möglicherweise doch von sich weisen kann. Hier bedarf es in Zukunft weiterer Klärung durch den BGH.
Unabhängig vom Schadensersatz: Wie hoch ist die Gefahr einer Stilllegung bestimmter Modelle durch das Kraftfahrt-Bundesamt?
Thorsten Köhn: Bereits Anfang 2023 setzte sich das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig mit einer Klage der DUH gegen das KBA auseinander, in der es um den erneuten Rückruf bestimmter VW-Modelle wegen der Verwendung illegaler Thermofenster ging. Dem kam das VG Schleswig in seiner Entscheidung nach und forderte das KBA dazu auf, Rückrufe der beanstandeten Fahrzeuge durchzuführen. Da die DUH aktuell eine Vielzahl ähnlicher Klagen in Bezug auf 113 Fahrzeugmodelle gegen das KBA führt, ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Monaten und Jahren viele weitere Diesel-Modelle zurückgerufen werden, um etwa ein Update oder eine andere Maßnahme zur Entfernung illegaler Abschalteinrichtungen vorzunehmen. Wird einem solchen Rückruf nicht gefolgt, kann das jeweilige Fahrzeug letztlich sogar stillgelegt werden.
Wie können sich geprellte Dieselkunden dagegen absichern?
Thorsten Köhn: Rückrufe oder gar Stilllegungen lassen sich von Verbraucherseite leider nicht abwenden. Umso wichtiger ist es, neben der Klage auf Schadensersatz durch das Gericht feststellen zu lassen, dass der Hersteller für Spätfolgen – etwa eine Stilllegung des Fahrzeugs – haftet.
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